Debutfilme
| News Sammlung - Amt 41-214
„Debutfilme handeln oft von Einsamkeit, sie sind Fenster, durch die junge Regisseure hinausschauen in die Welt ihrer Vorstellungen, und was sie dort erblicken, sieht selten vertrauenerweckend aus.“ (Andreas Kilb)
Der Begriff „Debutfilm“ beschreibt in der Regel den ersten Langfilm einer/s Filmschaffenden in einem professionellen Produktionszusammenhang. Heutzutage ist das sehr häufig der Abschlussfilm eines Filmstudiums. Werden die Filme frei finanziert, müssen sie aufgrund bestehender Umstände oder schlechter Bedingungen improvisiert werden und mit wenig Budget auskommen.
Meist deuten Regisseur*innen bereits mit ihrem Debutfilm filmische Elemente an, die sie später wieder aufnehmen und perfektionieren. Gerade in nur vagen Andeutungen von spezifischen filmischen Mitteln, Erzählstrukturen oder thematischen Bezügen sind diese Filme reizvoll, besonders im Rückblick. Der Stil ist noch unbeeinflusst und nicht durch Routinen bestimmt; er ist frisch und meist sehr klar, wie beispielsweise bei A BOUT DE SOUFFLE (1960) von Jean-Luc Godard.
Die Liste von nennenswerten Beispielen ist lang; neben den in dieser Reihe gezeigten Filmen wäre beispielsweise Leni Riefenstahls DAS BLAUE LICHT (1932), CERNÝ PETR (1964) von Miloš Forman oder Sam Mendes‘ AMERICAN BEAUTY (1999) zu nennen. In dieser Filmreihe legt das Filmmuseum einen besonderen Fokus auf Debutfilme, die als analoge 35mm-Kopien im hauseigenen Filmarchiv vorhanden sind. Gleichzeitig werden Filme präsentiert, die heute nur noch selten den Weg auf die Leinwand finden.
Das Programm:
SA 9.11. 19 Uhr | FR 15.11. 19 Uhr
BADLANDS · BADLANDS – ZERSCHOSSENE TRÄUME
USA 1973 · 95 min · OF · digitalDCP · FSK 16 · R/B: Terrence Malick · K: Brian Probyn, Tak Fujimoto · D: Martin Sheen, Sissy Spacek, Warren Oates u.a.
Eine BONNIE AND CLYDE-Romanze auf dem Lande: Kit Carruthers flüchtet mit Hollys Sargis quer durch Dakota. Sie haben Schuld auf sich geladen, die daraus resultiert, dass Hollys Vater sich weigerte, ihre junge Liebe zu akzeptieren. Für ihn kam ein Müllmann mit James-Dean-Allüren nicht als Schwiegersohn in Frage. So ist BADLANDS nicht nur Spätwestern und differenzierte Milieuschilderung, sondern auch eine Geschichte der Gewalt. Debutfilme Malick drehte in den 1970er-Jahren BADLANDS und DAYS OF HEAVEN (1979). Erst 20 Jahre später wurde er mit seinem dritten Film THE THIN RED LINE (1998) zu einer lebenden Legende. Bereits sein Erstling genießt Kultstatus und lässt Malicks spätere Kunstgebilde erahnen. So wurde BADLANDS eine übergenau ausgeleuchtete Werbeästhetik attestiert. Gordon Gow schrieb 1974 im Filmmagazin Films and Filming, die meditativen Bilder seien „grell, aber nie knallig, undramatisch, doch nicht spannungslos arrangiert.“ Noch wirken Malicks Bilder in ihrer Schönheit auch streng und karg, kraftvoll und naturalistisch.
SO 17.11. 18 Uhr | SO 24.11. 15 Uhr
PERMANENT VACATION
USA 1980 · 77 min · OmU · 35mm · FSK 12 · R/B: Jim Jarmusch · K: James A. Lebovitz, Tom DiCillo · D: Chris Parker, Leila Gastil, John Lurie, Richard Boes u.a.
Zu Beginn: Leere. Die Kamera fängt die Straßen von New York ein. Menschen gehen vorbei und wirken entgeistert. Der Film kreist um die Doppelbödigkeit des Begriffs „vacation“, der sowohl Urlaub als auch Räumung beziehungsweise „Aufgabe von etwas“ bedeuten kann. Protagonist Allie ist in Besserungsanstalten und Jugend gefängnissen aufgewachsen. So ist er ein Heimatloser, der stets neue Freunde findet, umzieht und sich im Grunde ohne Vergangenheit und Zukunft durchs Leben schlägt. Die Wunschvorstellung von absoluter Freiheit im Alltag – keine Verpflichtungen und Termine – wird für den Helden des Films zum Fluch. Zweieinhalb Tage begleitet Jarmusch seine Protagonist*innen durch Manhattans Lower East Side. Er dreht den Film als Abschlussfilm seines Studiums an der New York University mit voller Kontrolle bei allen Produktionsprozessen von Buch bis Regie und Schnitt. Er deutet stilistisch viele Elemente an, die er später in seiner umfangreichen Filmografie zur Perfektion treiben wird: lange Einstellungen, lakonischer Humor und das Porträtieren des Fremdseins in der Gesellschaft.
MI 27.11. 20 Uhr | SA 7.12. 20.15 Uhr
LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD
BRD 1969 · 88 min · DF · digitalDCP · FSK 16 · R/B: Rainer Werner Fassbinder · K: Dietrich Lohmann · D: Ulli Lommel, Hanna Schygulla, Rainer Werner Fassbinder, Irm Hermann, Peter Berling u.a.
Der Zuhälter Franz – gespielt von Rainer Werner Fassbinder – weigert sich, einem Verbrechersyndikat beizutreten. Das Syndikat lässt ihn zusammenschlagen und setzt Bruno auf ihn an. Franz verliebt sich in Bruno und will auch seine Freundin Joanna, die für Bruno auf den Strich geht, mit ihm teilen. Im Auftrag des Syndikats begeht Bruno allerdings Morde, die Franz angelastet werden sollen. Mit LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD begann im deutschen Kino eine neue Epoche: Radikal in Form und Inhalt, kompromisslos gegenüber der Filmindustrie und deren Verwertungsanliegen, operierte Rainer Werner Fassbinder mit einer Ästhetik, die seine Kritik an den herrschenden Verhältnissen in der Bundesrepublik einem breiten Publikum nahebringen sollte. Thematisch orientiert sich Fassbinder am US-amerikanischen Genrefilm, stilistisches Vorbild hingegen ist Jean-Marie Straub, von dem auch eine nächtliche Kamerafahrt stammt. Die Bilder von Kameramann Dietrich Lohmann sind von klinischer Helle, die Mise en Scène ist auffällig kahl, die Einstellungen sind von schmerzhafter Dauer. Das Ensemble – Ulli Lommel, Hanna Schygulla, Irm Hermann u.a. – entstammte dem Münchner Antitheater und bildete später das Team Fassbinder.
Einführung am 27.11.: Florian Deterding (Filmmuseum)
MI 4.12. 20 Uhr
MADAME X – EINE ABSOLUTE HERRSCHERIN
BRD 1977 · 141 min · DF · digitalDCP · ab 18 · R/B/K: Ulrike Ottinger · D: Tabea Blumenschein, Roswitha Janz, Monika von Cube u.a.
Ungekrönt und grausam ist die Herrscherin des chinesischen Meeres Madame X und gleichzeitig von unerbittlicher Schönheit. Sie richtet einen Appell an alle Frauen, die bereit sind, den Alltag gegen eine Welt voller Gefahren und Ungewissheit einzutauschen. Zweieinhalb Jahre bereitete Ottinger den Film vor. Mit 13 Frauen auf einem umgebauten Fischerboot drehte sie den Film auf dem Bodensee. „MADAME X repräsentiert nichts, weder die Macht noch die Ohnmacht der Frau(en); viel eher simuliert der Film: er arbeitet mit Zeichen, die Macht vortäuschen, die parodistisch auf ein Szenarium anspielen, das eher der Simulation (Vorspiegelung, Vorwand, Schein, Täuschung) angehört als der Wirklichkeit. Ein Spiel / Film also, der die Möglichkeiten von phantastischen Handlungen in der Abgeschlossenheit eines begrenzten Ganzen (Dschunke) zeigt, in Szene gesetzt nach bestimmten Regeln und begleitet vom Wissen der Differenz zum gewöhnlichen Leben, fern jeglicher Kampfanweisung für einen feministischen Alltag.“ (Monika Treut)
Einführung: Thomas Ochs (Filmmuseum)
SO 8.12. 17 Uhr | FR 27.12. 20.30 Uhr
SONO OTOKO · VIOLENT COP
J 1989 · 98 min · OmU · 35mm · FSK 18 · R: Takeshi Kitano · B: Hisashi Nozawa · K: Yasushi Sasakibara · D: Beat Takeshi (Takeshi Kitano), Maiko Kawakami, Makoto Ashikawa u.a.
Die harte Studie eines abgeklärten Polizisten, der sich allein dem Kampf gegen ein Drogensyndikat stellt. Dabei deckt er die alltägliche Korruption bei der Polizei auf. Als er wegen seiner brutalen Methoden angeklagt wird, findet er sich in einem Netz aus Verrat wieder und holt zu einem blutigen Gegenschlag aus. Das Regiedebut von Takeshi Kitano war bereits von Stilwillen geprägt und sorgte für Aufsehen: Eine unbewegliche Kamera – die später sein Markenzeichen wurde – und ein grundsätzlicher Minimalismus, der sich nicht nur in spärlichen Dialogen, sondern auch in einer reduzierten Mimik spiegelt. So wurde Kitanos Cop mit Clint Eastwoods Dirty-Harry-Figur oder mit dem Schauspiel von Alain Delon in LE SAMOURAI (1967) verglichen.
SO 15.12. 17 Uhr | SA 28.12. 19 Uhr
RATCATCHER
GB 1999 · 94 min · OmU · 35mm · FSK 12 · R/B: Lynne Ramsay · K: Alwin H. Küchler · D: Tommy Flanagan, Mandy Matthews, William Eadie u.a.
1973: Der zwölfjährige James lebt mit seiner Familie in prekären Verhältnissen in einer Arbeitersiedlung in Glasgow. Sie warten auf die – scheinbar nie eintretende – Umsiedlung in neu gebaute Wohnanlagen am Rande der Stadt. Nachdem im gemeinsamen Spiel sein Freund Ryan ertrinkt, versucht James mit der Schuld zurecht zu kommen. Die Schottin Lynne Ramsay inszenierte ihren Debutfilm in der Tradition des britischen Realismus, offenbart dabei aber in bildlichen Details und kindlichen Traum-Sequenzen auch ein Gespür für die Poesie des Alltäglichen. Ursprünglich verfolgte Ramsay den Wunsch, Fotografin zu werden, studierte aber schließlich an der National Film and Television School in London Kamera und Regie. Dies zeigt sich in einem deutlichen Fokus auf die Bildebene und sorgfältig komponierte Stillleben sowie einer assoziativen Montage.
Einführung am 15.12.: Philipp Hanke (Filmmuseum)
FR 20.12. 19 Uhr | SA 28.12. 21 Uhr
LA NOIRE DE… · DIE SCHWARZE AUS DAKAR
SEN·F 1966 · 65 min · OmU · digitalDCP · ab 18 · R/B: Ousmane Sembène · K: Christine Lacoste · D: Mbissine Thérèse Diop, Anne-Marie Jelinek, Robert Fontaine, Momar Nar Sene u.a.
Eine junge Senegalesin wird, nachdem sie bei einer französischen Familie in Dakar als Babysitterin gearbeitet hat, eingeladen, als Gouvernante nach Frankreich mitzukommen. Doch im Westen ist sie für alle bloß noch „das schwarze Mädchen“. Ihrer Freiheit, ihrer Würde und ihrer Identität beraubt, bleibt ihr nur ein radikaler letzter Akt des Widerstands. LA NOIRE DE… war einer der ersten afrikanischen Spielfilme überhaupt und basiert auf einer Zeitungsmeldung über den Selbstmord eines afrikanischen Hausmädchens. Daraus formte Sembène eine Parabel über Neokolonialismus und den neuen Sklavenhandel. „Im Filmdebut des Giganten des afrikanischen Kinos, Ousmane Sembène, spiegelt sich der Kampf der kolonisierten Körper um ein Leben in der Nähe ihrer Kunstobjekte in der gewaltsamen Konfrontation zwischen Kolonisator und Kolonisierter, die versucht, ihre Identität zurückzuerlangen.“ (Didi Cheeka)
FR 20.12. 20.30 Uhr | FR 27.12. 19 Uhr
FOLLOWING
GB 1998 · 69 min · OmU · 35mm · FSK 16 · R/B/K: Christopher Nolan · D: Jeremy Theobald, Alex Haw, Lucy Russell u.a.
Bill verfolgt willkürlich Menschen quer durch London. Er sei als Schriftsteller mit einer Recherche befasst, erklärt er sein Verhalten. Schnell wird jedoch seine voyeuristische Neugier deutlich – er beschattet die Menschen nahezu. Dabei begegnet er dem Einbrecher Cobb und wird immer stärker in eine unkontrollierbare Kriminalität hineingezogen. „Unzweifelhaft lässt FOLLOWING Nolans Arbeitsweise erkennen, als ‚emotional mathematician‘, der innovative und komplexe Geschichten [schafft und dabei mit] mehrdeutigen Symbole[n], filmische[n] Rekursionen, Paradoxien, chronologischen Inversionen sowie [der] Zeitdilatation [spielt].“ (Désirée Kriesch) Zusammen mit Freund*innen und Familienmitgliedern dreht der junge Christopher Nolan auf 16mm-Material einen atmosphärisch dichten Film. Die Vorliebe des Regisseurs für verschachtelte Erzählstrukturen und das Doppelbödige sind in diesem Debutfilm bereits omnipräsent. Der so realisierte Spannungsaufbau manifestiert sich über das schmucklose, schmutzige Schwarzweiß zu einem zeitgenössischen Beispiel des Film Noir. In Guerilla-Manier inszeniert Nolan über die Dauer von mehr als einem Jahr an Wochenenden in den Straßen Londons.